Am Rande der Welt: Puszta, Ponys, Pause

Eine gute Autostunde und 55 km von der Hauptstadt entfernt biegen wir in eine sandige Piste ein, die zur “Búbos Banka Tanya”, einem kleinen Hof mit Islandpferden, führen soll. Würde das Navigationssystem nicht darauf bestehen, wir wären umgedreht, hätten hier sicher keine Unterkunft erwartet.

Aber es ist eben anders oder besser: genau wie beschrieben. Abgeschieden und im Einklang mit der Natur liegt der Is-Land-Hof. Im Sommer weilt dort die Familie von Alma Demszky und Bálint Varga mitsamt ihren Kindern. Die Universitätsprofessorin lebt und arbeitet eigentlich im Norden Ungarns und ist nur während der Ferien mit den Kindern auf der Farm. Alma spricht fließend Deutsch, hat in Deutschland und der Schweiz gelebt und gearbeitet, auch ihr Mann und die Tochter Imola können uns aus unserer ungarischen Sprachlosigkeit helfen.

Einen Traum hat sich die Familie mit dem Hof erfüllt, aber einen arbeitsamen. Elf Pferde, davon einige Fohlen, Hunde, Katzen, Hühner, Enten und eine Ziege wollen versorgt werden. 
Das Problem: Hier auf dem Land sieht manches anders aus als in der Großstadt: Rekordverdächtig-verdächtig niedrige Unternehmenssteuersätze locken Unternehmen und Investoren in die Provinz, der es jedoch an Arbeitskräften mangelt. Wer Arbeit hat, findet kaum jemanden, der sie erledigt und das gilt nicht nur für die Großkonzerne, sondern auch für kleine Höfe, kleine Träume von der großen Freiheit. So müht sich auch Bálint meist ohne Hilfe ab. Hin und wieder kommt eine freiwillige Arbeitskraft auf der Suche nach Auszeit, körperlicher Arbeit, Abgeschiedenheit und Antworten – ansonsten ist der Ungar alleine. Sorgsam und geduldig geht er mit den Pferden um und scheint dabei zwar keine Uhr, dafür aber die Zeit zu haben. Nicht verstehen, oder: nicht einsehen kann er, wieso die Reitschulen das Fallen, das Stürzen, das Unvorhersehbare zum Tabu gemacht, ja ausgemerzt haben, wieso sie ihren Schülerinnen und Schülern diese Erfahrung vorenthalten. Es gehört für ihn dazu, das Reiten ist ein anderes, wenn man gelernt hat, zu fallen. 

Die drei jüngsten Kinder sind auch da. Sie scheinen zum wuchernden Gras, zu den festen Wurzeln, zum Gackern, zum Zirpen, zum Wiehern und zum Wehen zu gehören, scheinen all dem anzugehören. Eine unaufgeregte Geschäftigkeit verströmen sie: Stundenlang, jeden Tag, unermüdlich und in ihren azurblauen mongolischen Gewändern durchaus erhaben, schießen die strohblonden Zwillinge mit Pfeil und Bogen auf Heuballen. Einmal zimmern sie von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang mit Hammer und Nägeln ein Haus aus Lumpen, in dem sie nachts auch schlafen, zumindest bis die Angst den Eingang zu ihrer Bleibe gefunden hat. Und Imola, die kleine Wilde und große Schwester trägt keine Schuhe, wieso auch? Warmherzig und klug streift sie stundenlang durch die Felder und erträgt es gelassen, dass sie ihr Pferd Baldur den Touristen überlassen muss. 

Träume wachsen auch auf sandigem Boden

Alma hegt große, bunte Träume, aber bekommt nur wenige Wochen im Jahr vom Leben die Zeit geschenkt, sie zum Blühen zu bringen. Dann nämlich, wenn sie auf dem Hof eine Gruppe junger Roma-Kinder aus der Umgebung empfängt, die – womöglich zum ersten Mal in ihrem Leben – dort eine unbeschwerte Ferienwoche erleben dürfen – kostenlos. Es ist ein integrativer, erlebnispädagogischer und zutiefst idealistischer Ansatz, der Alma antreibt – und zwar trotz all der anderen Arbeit, der großen Verantwortung, die ein solches Projekt bedeutet und der mangelnden finanziellen Unterstützung. Einzig das Militär spendet das Mittagessen, eine kleine Geste mit großer Entlastung für die Familie. 

Wenn Alma von diesen Projekten erzählt, mischt sich Freude in ihre so überlegten, klaren Worte. Da war dieser Teenager, ein halber Mann mit großen Sprüchen und großem Ego, der dort zum ersten Mal in seinem Leben eine Dusche genossen hat. Er wusste nicht einmal, wie das heißt und schon gar nicht, wie es funktioniert. Da waren die Jugendlichen, die bei den Pferden Ruhe fanden, die sich selbst entdeckten, gespiegelt im Schnurren der Katze, im Winseln des Hundes, im Wehen der Blätter. 

Was könnte daraus alles entstehen, gäbe es die Mittel und gingen noch mehr Menschen die Wege, die zu den Grenzen führen, die es zu überschreiten gibt!

Aber eben weil es Grenzen sind, sind da auch die, die zweifeln, die heucheln, die Fortschritt behindern. Eltern, die Angst haben, ihre Kinder in Kontakt mit Roma-Kindern zu bringen, Helferinnen und Helfer, die das Angebot ausnutzen, um ihren eigenen Profit daraus zu schlagen, Institutionen, die den Sinn nicht sehen wollen oder können. 

Bis Alma einen (deutschen) Verein gefunden hat, der bereit ist, die rechtliche Verantwortung zu übernehmen, oder eine Institution, die sich an der Organisation beteiligen will, muss sie sich von Jahr zu Jahr hangeln und hoffen, dass das Budget im Sommer wieder hergibt, was ihr Herz im tiefsten Inneren verlangt. 

Bis dahin sind es die Gäste, die dazu beitragen, den Hof mit all seinen Chancen und Möglichkeiten am Leben zu halten. 

Mähnen im Wind, Weite im Herzen

Die Gäste, das sind auch wir. Im über 150 Jahre alten traditionellen Landhaus sind wir untergebracht. Die Mauern, die die staubtrockene Hitze draußen halten, sind 50 cm dick, der Holzboden knarzt unter unseren Füßen, handgewebte Satteldecken, Teppiche, Bilder von Pferden und den Kindern unterbrechen das Weiß der Wände. Einfach, aber bedacht und liebevoll ist es eingerichtet. Hier und da blitzt Leben aus den Schubladen, den Regalen, den Schränken: Kinderspiele, Bücher in vielen Sprachen, Nähzeug, Kleider. 

Ein paar Tage fühlen wir uns gestrandet, umgeben von im Wind rauschenden Blattwerken, unterm makellos aufgespannten Sommerblauhimmel gleiten die Sekunden dahin. Mittags fragen wir uns, warum nicht schon Abend ist, abends fragen wir uns, wo der Tag geblieben ist. Wir liegen im Gras, lesend, schlafend, sinnierend, lachend und rollen in Zeitlupe den Hang herunter, immer dem Schatten des Baumes folgend, ohne den wir längst verdorrt wären. Zusehen, wie die Erde sich dreht, der Zeit eine Richtung zugestehen. 

Auf den umgebenden Koppeln grasen die Pferde, manchmal erscheinen ihre Köpfe plötzlich im hohen Gras, dann toben sie über die Wiese, kämpfen ihre Kämpfe, lautstark oder leise und irgendwann verschwinden sie wieder. 

Sobald die Hitze langsam zu Boden fällt oder bevor sie aufgestiegen ist, holen wir die Pferde, satteln auf und reiten durch die endlosen Sandwege. Im Takt der puren Bewegungsfreude durchstreifen wir zusammen die Weite. Wir stürmen am Waldrand entlang, auf den Resten eine abgeernteten Kultur, vorbei an verlassen wirkenden Häusern, von Hunden bewacht, deren Bellen ein Betteln anhängt. Der Wind entwirrt uns die Gedanken, vor Freude lachen wir. Wir sind wie Kinder. Reines Glück. Das vollkommene Einfache.


Einmal ist das Ziel das Haus einer Deutschen, die nur alle paar Wochen nach Ungarn fährt und ihr Anwesen so lange von zwei Tierheimhunden bewachen lässt. Glockenhell freuen sich die vereinsamten Tiere, als sie uns hören und riechen, schließlich sehen und endlich fühlen. Im Garten: Baumwipfel in Orangegold getaucht, pralle Pflaumen, weißfleischige Pfirsiche, saftig, explodieren im Mund, unaufdringlich zuckersüß. Sind so vollkommene Pfirsiche, ohne Pfirsich sein zu müssen. Unbeaufsichtigt, fernab des überall tobenden Optimierungszwanges vor sich hingewachsen. Bei der Rückkehr sind wir dann aus den Armen des Waldes geschwebt, vom reichlich diamantbestickten Himmel umfasst und vom Grillengezirpe feierlich heimgetragen worden. 


Ein anderes Mal dämmert es bereits, als wir loskommen. Mein Pferd, Moskjona kommt aus Deutschland, schwarz-weiß, weich, langmähnig, wundervoll. Und blind. … Zeckenbiss. Unbrauchbar wurde sie für den Zuchtbetrieb dort, unverzichtbar ist sie hier. Jedes Mich-Nähern kündige ich an, damit sie meine Stimme kennt oder vielmehr: Damit ich meine Zweifel übertöne. Hören kann sie mich ja, was soll da schon passieren – oder so.

Ohne Sattel bewegen wir uns durch das Eingangstor, durch die Allee, die in die Weite und direkt ins wildrote Abendlicht führt. Außerordentlich feinfühlig und weich fühlen sich Moskjonas Schritte an und ich bin ganz meinem Staunen überlassen. Jede ihrer Bewegungen spüre ich, den sich wölbenden Bauch, die Kraft in den Beinen, den von Muskeln überspannten Rücken, ein sanftes Pochen, ein kurzatmiges Schnauben. Irgendwann bin ich in ihren Schweiß getränkt. 

Ein suchendes Tasten oder ein vorsichtiges Aufsetzen der Beine spüre ich in keinem Moment, wüsste ich es nicht besser, könnte ich es nicht glauben.

Es wird Nacht. Nichts ist mehr sichtbar, der helle Sand ist im Dunkel der Nacht versunken, als stünden wir auf dem Meeresgrund, durch das Schwarzblau der Bäume tauchend, als dränge das Licht tausend Meter über uns nicht bis hier unten durch. Nichts, gar nichts ist mehr sichtbar. Moskjona sieht so viel wie vorher. Nicht müde wird sie, nicht müde werden ihre flinken Beine, wie sie durch die Nacht traben, tölten, galoppieren. Munter wirkt das, fröhlich und frei. Und ich: ganz langsam aus der Angst ins Vertrauen gefallen. Und sie: der Schutzengel unter mir. Was für ein Geschenk! 


Wer das Einfache sucht, ohne dabei die Natur zu scheuen, das Natürliche, das Naturbelassene und die Natur des Lebens, welche nicht immer geschminkt, geputzt, gestutzt in Erscheinung tritt, der möge sich hier auf die Suche machen und viel Schönes – und mit etwas Glück das vollkommene Einfache – finden.


Anfahrt: Von Budapest aus fahren sehr regelmäßig, teilweise stündlich Busse oder Züge nach Taborfálva. Ein (Miet-)Auto könnte sich lohnen, falls man einkaufen will oder mal einen Tapetenwechsel braucht.

Unterkunft: Entweder im Landhaus mit mehreren Schlafzimmern, zwei Bädern, einer Küche und einem großen Wohn- und Essbereich oder in den beiden Jurten (voraussichtlich erst ab Sommer 2020).

Buchung: über fewo-direkt.de: Is-Land-Haus buchen , alternativ eine E-Mail an Alma schreiben (über die unten stehenden Webseiten)

…oder helfen? Über workaway sind freiwillige Arbeitseinsätze möglich – die Familie freut sich über kräftige Zupacker*innen!

Weitere Infos: www.faircation.eu (Deutsch) oder www.elmenypedagogia.com (Ungarisch)