BiH IV | Erstmal essen

Die Speisekarten Sarajevos sind Narrative der Vergangenheit Bosniens: Čaj, Ćevapi, Burek, Palačinke, Kebab, Cremeschnitte, Strudel, Baklava, Ćuvte, Sač, Pitas heißen ein paar der schmackhaften Zeitzeugen. Ich träume immer noch davon. 

Am ersten Tag mache ich einen kulinarischen Spaziergang durch die Stadt und lande in einem Restaurant, in dem ich Zeljanica Slagana, eine Art Spinat-Schichtkuchen mit Filoteig probieren will. Als ich frage, ob es einen Tisch für eine Person gibt, lacht der Kellner auf. Als er versteht, dass ich wirklich allein hier essen möchte, zeigt er mir zögernd und schmunzelnd einen Tisch im Eck, an den ich mich setze. Das wird noch öfter passieren: Wer isst hier schon allein?

Als ich bestellen will, erfahre ich, dass der Spinatkuchen jeden Morgen frisch zubereitet wird und daher mittags oft schon ausverkauft ist. Hier wird noch richtig gekocht und gebacken. Ich entscheide, woanders zu essen und am nächsten Tag wiederzukommen.

So lande ich letztlich gegenüber, in einem kleinen Restaurant mit Steinofen. Es ist schwülheiß und der Ventilator an der fünf Meter hohen Decke tut nichts, als die warme Luft herumzuwirbeln. Ich bestelle einen Fischeintopf und kann beobachten, wie er zubereitet wird. Der Koch würzt großzügig, ohne verschwenderisch zu sein, bleibt ernsthaft, konzentriert, mit nüchterner Leidenschaft, die durch seine Verschlossenheit und Zurückhaltung wahrscheinlich nur wie Langeweile aussieht und ganz und gar nicht so schmeckt!

Die Meeresfrüchte baden im herrlichsten orangeroten Sud aus all jenen Gemüsesorten, an denen ich zuvor stundenlang vorbeigefahren bin: Staudensellerie, Karotte, Tomate, Lauch. Es schmeckt unfassbar frisch und echt. Und dann kommt ein lächelnder Herr herein, in der Hand schwenkt er eine Plastiktüte, darin frische Fischchen, die er dem Koch gibt. Man kennt sich, raucht zusammen, stößt an. Die Köchin arbeitet währenddessen den Teig in Pitabrote um und nutzt jede freie Minute, um sich an der Eingangstüre anzulehnen und den Verkehr zu verfolgen. Ein Polizeiauto hält vor dem Lokal, lässt die Sirene aufheulen, alle lachen, es fährt weiter. Trubelig ist es hier, heimelig.

Auf dem Land esse ich herrlichste geräucherte Regenbogenforellen mit Gartengemüse, Wildschweingulasch und Kartoffeln. Was auf den Tisch kommt, kommt auch von da, wo der Tisch steht. Das schmeckt man. Danach stoßen wir mit Rakia an, den ein Serbe mitgebracht hat. Es ist sein „Projekt“ und der beste Rakia, den ich jemals probiert habe. Er erfüllt uns mit Wärme und badet unsere Sinne für einen Moment in einem Meer aus sonnenerwärmten Kräutern.

Noch oft werde ich sprachlos sein ob dem feinen Geschmack, der in der Einfachheit liegt. In manchen Pekaras – Bäckereien – gibt es nur eine Handvoll Backwaren, die aber sind so gut, dass es nichts anderes braucht.

Das wunderbare Essen hat etwas Tröstliches, etwas Verbindendes: Alle lieben guten Kaffee, alle lieben saftige Fleischbällchen oder siruptropfende Baklava. Wenn es immer so einfach wäre…

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