BiH VII | Begegnungen

Der Bruder meiner Gastgeberin, der mir als Trost und Entschuldigung für die schlaflose, nervenaufreibende Nacht im Nationalpark einen toten Schmetterling schenkt, mir zuckersüßen Tee kocht und dann die Tasse wechselt, sobald das Getränk erkaltet, aber noch nicht ausgetrunken ist.

Meine zauberhafte Gastgeberin, die an einem Tag im Juni auf den Bus in die nächstgrößere Stadt wartet. Sie trägt ein rotes Shirt, auf dem mit Pailletten bestickt die Worte „Kiss me, it’s X-Mas“ stehen. Eine bessere Begründung für ihren Ausflug finde ich nicht. Sie hat keinen Mann und will auch keinen und wenn schon, dann nur einen, der ihr Herz zum Explodieren bringt, wie sie mir mit unmissverständlicher Gestik begreiflich macht.

Der Busfahrer, den ich nie kennengelernt habe, weil er einfach an mir vorbeigefahren ist und mich damit sieben Stunden in der Hitze auf den nächsten Bus warten ließ.

Mein Gastgeber, ein Journalist mit Weitblick, der politische sowie künstlerische Filme dreht und klare Worte für das Elend seines Landes findet, dabei weder trotzig noch traurig ist, sondern leise und stark.

Dieser eine Vogel im Nationalpark, der mit seinem Gesang das ganze Tal zum Klingen bringt.

Alle verwirrten Verkäuferinnen und Verkäufer, die nicht glauben wollen, dass es auch ohne Plastiktüte geht.

Die ergraute Nonne in einer katholischen Kirche Sarajevos, die lässig an einer Säule lehnt und ihre Viber-Nachrichten liest, unbeirrbar.

Der junge Serbe, der mir sagt, dass er Muslime zu aggressiv findet und nichts mit ihnen anzufangen weiß, woraufhin ich ihn nach der Sagbarkeit eines solchen Satzes frage und er dann lange nachdenklich schweigt.

Der Stadtführer in Sarajevo, der mutig in die Zukunft schaut, an ihr baut und baut und baut und uns Besuchende bittet, nur das Beste seiner Stadt zu verbreiten.

Der einsame, seltsame Parkranger, der sich eigentlich nur nach Liebe und Familie sehnt, aber den falschen Beruf dafür gewählt hat und der nicht weiß, was er mit seinem Leben und seiner Lust anfangen soll.

Meine Mitfahrgelegenheit, der je zwei Wochen in Sarajevo und zwei Wochen in Zagreb wohnt, um Familie und Job irgendwie zusammenzubringen.

Meine zweite Mitfahrgelegenheit, der unter Schlafstörungen leidet, weil er in einem großen Münchner Unternehmen Schichtarbeit macht und wöchentlich oder zweiwöchentlich nach Zagreb und zurück nach München fährt, um seine sechs Kinder und seine Frau zu sehen, die zwar aus Deutschland kommen, dort aber nicht leben möchten. Auch das ist Europa, stelle ich fest und weiß nicht, was ich ihm wünschen soll, außer alles Gute.

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