Geerdet in Graubünden: echte Erholung im „Casa Porclas“

Weihnachten ist für mich die Zeit des Überflusses, der Überfüllung, der Überflutung, des Übermaßes. Und so über und über voll von Essen, Erlebnissen, Gelebtem, Gesprächen und Gedanken habe ich mich nach den Feiertagen – oder wie wir so schön sagen – zwischen den Jahren mit einem lieben Menschen auf den Weg in die Ruhe gemacht, damit sich all das Aufgewühlte setzen kann, niedersinken – ins Bewusste, Unbewusste, Noch-nicht- oder Immer-schon-Gewusste.

Auf den Bildern im Internet strahlte unsere Unterkunft eine solche Schönheit und Gemütlichkeit aus, dass wir überrascht waren, trotz spontaner Anfrage noch ein Zimmer im zauberhaften Casa Porclas bekommen zu haben.

Hin und weg: Val Lumnezia

Die überlaufenen Wintersportorte lagen zum Glück längst weit hinter uns, als wir im Val Lumnezia angekommen sind. Das „Tal des Lichts“ ist das größte Seitental der Surselva und einer breiteren Masse allenfalls durch das reiche Kulturerbe oder das jährlich stattfindende Open Air Lumnezia bekannt.

Von Ilanz aus, einem kleinen Städtchen mit mittelalterlichem Charme schlängelt sich die Straße südwärts hoch, wo sich auf ca. 25 Kilometer Länge ein sonnendurchflutetes, breites Tal zwischen sanft gewellten Hügeln, wiesenüberzogenen Plateaus und hochalpinen Berghängen öffnet. Hier hat sich abseits von Touristenströmen etwas Unverfälschtes, Echtes bewahrt – etwas, das mit dem Puls der Zeit die Zeit selbst verloren zu haben scheint.

Viel Raum, viel Zeit – viel Zukunft?

Beim Erkunden des Tals sehen wir immer wieder bündnerromanische Inschriften auf eindrucksvollen Holz- oder Steinhäusern. Nicht überraschend, dass hinter den meisten dieser Fassaden immer noch das Romanische als Muttersprache gesprochen wird. Aus der Zeit gefallen?

Nicht doch! Die Zeit überdauernde Bauernhäuser und hölzern-verwitterte Scheunen bilden die einzelnen Dorfkerne, um die sich Neubauten aus Holz oder zumindest in Holzfarben dazugesellt haben: sachte Stilbrüche, wenig Aufsehen, viel Panoramafenster-Weitblick. Rühriger wird es in den Gassen dadurch allerdings nicht unbedingt, weil vor allem Feriendomizile entstanden sind, die den Dörfern wenig Leben bringen – was mittlerweile zu einem durchaus polarisierenden Baustopp für Zweitwohnungen geführt hat.

Ideen gibt es einige, wie das Tal genutzt werden kann, zuletzt entschieden sich die Stimmberechtigten der Gemeinde Lumnezia gegen ein Windpark-Projekt. Abwanderung und in der Folge Überalterung aber machen dem Bergtal zu schaffen, im Tourismus sieht so mancher eine große Chance. Doch sanft, naturnah und echt soll er sein: Genau so, wie wir es suchen – und finden.


Holz.Farben
Goldfarben

Wo Licht ist, ist Farbe: Casa Porclas

Unser sehr gemütliches Bett steht im Casa Porclas, einem B&B, welches wir auch ohne Adresse sofort gefunden hätten: Das 240-jährige Patrizierhaus strahlt fünfstöckig in Reinweiß mit purpurroten Fensterläden der Sonne entgegen.

Seit 18 Jahren führt Denise das liebevoll restaurierte Gästehaus und genießt es, die Welt zu Besuch zu haben, worüber sie längst Bücher schreiben könnte – voll mit lustigen, schönen und auch unfassbar komischen Geschichten.

Dass sie Farben liebt, ist überall sichtbar und ich möchte fast sagen: spürbar. Da ist Holz – Holz in all seinen Farben und Formen, geschliffen, geschnitzt, gebeizt, vom Leben gebogen, von den Zeigern der Zeit angenagt. Trotz – oder wegen – seiner langen Geschichte scheint es mitleben zu wollen, begleitet es jeden noch so tapsenden Schritt knarzend, wellt, biegt, krümmt sich unter dem Gewicht der Füße oder den Launen des Wetters. Und im Wohnzimmer steht ein Tisch, der einst lackiert war. Längst hat das unermüdliche Kreisen des Putzlappens die Maserung des Holzes freigelegt, hat ihm den Atem wiedergegeben.

Farben brachte und bringt Denise unter anderem aus der Sahara mit, wo sie seit sieben Jahren Reisen mit den Tuareg begleitet. Überall im Haus finden sich handgearbeitete Kleinigkeiten dieses Wüstenvolks: vom Türrahmen baumelnde, an Griffen hängende, auf Kommoden ausgebreitete, auf Fensterbrettchen stehende Farbtupfer. Aus Farben besteht auch ein Teil ihrer beruflichen Beschäftigung, indem sie als Aura-Soma-Beraterin arbeitet. Einmal erhaschen wir einen Blick auf das Regal mit den unzähligen in der Morgensonne wie verzaubert leuchtenden Farbfläschchen.

Wir erkennen: Was das Haus umgibt, füllt es auch aus. Edler Naturstein umkleidet die Bäder, Essbarkeiten der Natur bereichern den Frühstückstisch und dann natürlich das Holz, das den Hintergrund bildet, vor dem sich alle anderen Töne erheben.

Frühstück: Bergsommer, konserviert

Das Frühstück morgens ist inbegriffen, wir teilen es uns mit einem Pärchen. Wieder liegt im Einfachen das Wundervolle: Im selbstgemachten Müsli warten kleine, saftige Heidelbeeren darauf, Erinnerungen an den Herbst zu wecken und schmecken genau so, als wären sie am Morgen noch taubenetzt gepflückt worden. Die Überwinterung im Gefrierfach ist ihnen nicht im Geringsten anzumerken.

Dazu serviert uns Denise frisch gebackenes Brot, feine Bergbutter, dreierlei Käse, selbstgemachte Konfitüren und einen handgepflückten, sonnengetrockneten Kräutertee. Während wir essen, brechen die Sonnenstrahlen durchs Glas und fluten das riesige Ess- und Wohnzimmer mit Wärme und Licht.

Nehmen, was der Moment gibt

Im Haus verteilt finden wir Lesestoff: Inspirierendes, Naturnahes, Märchenhaftes, Amüsantes, Kurzweiliges aber vor allem Zeitkritisches. Abgeschieden sind wir hier – aber alles andere als abgehängt!

Auf leisen Pfoten huschen zwei Katzen vorbei. Eine davon wird uns später ihren samtweichen Bauch entgegenstrecken und sich ein Paar streichelnder Hände herbeischnurren. In der Küche beobachten wir immer wieder das flattrige Kommen, Futtern und Gehen von Vögeln in den wildesten Farben und verschiedensten Größen.

Zeit vertreiben, Zeit sammeln

Die Ein-Zeiger-Uhr in Cumbel, die wir vom Zimmer aus sehen können, ist sinnbildlich für mein Gefühl dieser Tage: Ich sehe die Zeit und nehme sie mir. Ja, ich lasse mir von ihr die Minuten geben, die der Stundenzeiger verschweigt. Ich lasse die Zeit sein, sie lässt mich und es wird still in mir.

Die Tage verbringen wir auf Tourenski in der Stille des neu angebrochenen Jahres, das sich unter einem tiefblau aufgespannten Himmel langsam ausbreitet. Angelehnt an das goldgegerbte Holz einer kleinen Hütte atmen wir Licht ein und Ruhe aus. Nahezu niemand ist unterwegs – bis auf ein paar lächelnde Gesichter mit spazierrosarot gefärbten Wangen. Schnee glitzert, schimmert, tropft leise.

Und abends umfängt uns wieder die Gemütlichkeit des Casa Porclas, zwischen dessen Wände so unzählig viele Facetten des Lebens aus all den Jahren unsichtbar aufgespannt sein müssen.

Zum Abschied gibt uns Denise einen papiergefalteten Glücksstern und einen Wunsch mit auf den Weg: „Macht Werbung.“

Das Tal braucht mehr Menschen, die das suchen, was es hier ganz unaufdringlich überall und wie selbstverständlich gibt: Ruhe, Natur, Kultur, Zeit.


Reservieren: https://www.casa-porclas.ch/ oder über Airbnb „Casa Porclas“

Anfahrt:
mit öffentlichen Verkehrsmitteln: von Chur mit der RHB nach Ilanz, mit dem Postauto Richtung Vrin, Haltestelle Cumbel (Dauer: ab Chur 1 Stunde)
mit dem Auto: Von Chur über die Autobahn bis Ilanz und weiter nach Cumbel (Dauer: ab Chur ca. 40 Minuten)

Kontakt: zu Denise – Tel. 079 945 78 84, info@casa-porclas.ch

Schreibe einen Kommentar